Zen-Ästhetik
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Architektur (Villa Katsura)

Gewöhnlich werden zwei Gebäude herausgestellt, wenn es darum geht die klassische japanische Architektur zu repräsentieren. Die Villa Katsura und das zentrale Heiligtum des Shinto, der Ise Schrein.
Im Folgenden wird die Villa Katsura näher besprochen, um die Grundzüge der Ästhetik herauszuarbeiten.
Die Villa Katsura bei Kyoto ist ein Landsitz von kaiserlichen Prinzen, die im frühen 17. Jahrhundert erbaut wurde. Sie besteht aus drei aneinander liegenden Hauptgebäuden und mehreren Pavillons, die in einem Landschaftsgarten, mit einer integrierten Teichanlage, eingebettet sind.
Das dreigegliederte Haupthaus vereint drei Stile: Den alten Shinden Stil aus der Heian-Zeit, den mittelalterlichen Shoin-Stil und den Sukiya-Stil. Der Shoin-Stil leitet sich von dem Studierzimmer eines Abtes aus einem Zenkloster ab und ist durch den Bodenbelag in Form von Tatami-Fußmatten, mit Papier bespannten Fenstern und Schiebetüren und einem Fensterbrett, das breit genug ist, um darauf zu schreiben, sowie zusätzlich versetzt angebrachten Regalbrettern gekennzeichnet. Charakteristisch ist die sogenannte Schmucknische Tokonoma, in der Blumengestecke oder Tuschzeichnungen präsentiert werden. Sonst sind die Räume im Allgemeinen weitgehend leer und schmucklos. In der Folgezeit wurde dieser Stil auch für andere Wohnbauten außerhalb von Klöstern übernommen, z. B. für Wohnhäuser von Samurai.
Kobori Enshu (1579-1647) vereinte die Ästhetik der Heian-Zeit, die für Grazie und Eleganz steht, mit der strengen Einfachheit der Ästhetik von Sen no Rikyu (wabi-sabi-Ästhetik), die z. B. in Teehütten im Einsiedlerstil zu bewundern ist.
Als Resultat ergab sich hieraus das „schöne sabi“ oder kirei-sabi. Beim Bau der Villa Katsura folgte man größtenteils diesem Stil.
Die einzelnen Gebäude ordnen sich in einen Landschaftsgarten ein, der um einen zentralen Teich angeordnet ist. Zu ihnen führen Wege, die nicht linear angeordnet sind, sondern mit jeder Biegung ergeben sich neue Ausblicke, erst zum Schluss ist das ganze Gebäude sichtbar.


Blick aus dem Inneren eines Teepavillons auf die Teichanlage.
(Foto von Raphael Azevedo Franca, aus wikimedia commons)


Die einzelnen Pavillons haben poetische Namen und dienen u.a. der Teezeremonie oder der Naturschau. So ist z. B. der Mondwellen Pavillon (Gepparo Teepavillon) etwas höher am Teich gelegen, damit man den sich spiegelnden Mond im Wasser betrachten kann.
Ein anderer Pavillon hat den Namen Kiefer-Harfen (Shokintei) Pavillon, weil der Wind, der durch die Kiefern streift, einen Ton erzeugt, der an eine Harfe erinnert.

Dach des Gepparo Teepavillons, der gekrümmte Stamm als Stütze ist ein charakteristisches Gestaltungselement von Teepavillons. (Foto: wie vor).

Beide Pavillons liegen sich am Teich gegenüber, wobei der eine Pavillon die aktive sonnige Seite und der andere die schattige und inaktive Seite darstellt.
Der Name Shoiken Pavillon bedeutet Pavillon der lachenden Gedanken. Er ist ein vollständiges Haus mit Küche und Toilette und war für die Prinzen ein Rückzugsort aus der geschäftigen Welt, um Kontemplation zu pflegen. Der Name nimmt Bezug auf den chinesischen Poeten LiPo (701-762) der sich in die Einsiedelei zurückzog und über die Eitelkeit der Welt lachte.
Nach der Reichseinigung, mit dem Beginn der Edo-Zeit, erließ der Shogun ein Edikt, dass sich der Hofadel der Politik zu enthalten und nur noch den Künsten und der Gelehrsamkeit zu widmen habe. Daher repräsentiert die Villa Sakura insgesamt eine Ästhetik der Weltabgeschiedenheit.
In der Villa Katsura finden sich alle Merkmale die für die klassische japanische Architektur charakteristisch sind: Die Gebäude sind asymmetrisch angeordnet, so liegen z. B. die drei Haupthäuser auf einer gedachten diagonalen Linie, die die Flugformation von Kranichen nachbildet. Die einzelnen Räume oder Raumelemente werden frei und modular aneinander gepasst, so dass die Gebäude wie organisch gewachsen aussehen.

Geflochtener Bambuszaun als äußere Umgrenzung der Villa (Foto: wie vor).

Flache, geduckt liegende, in die Landschaft eingefügte Gebäude.

Die Gebäude sind aus natürlichen Materialien hergestellt, wie z. B. Holz, Stroh, Bambus, Lehm und fügen sich daher zwanglos in die umgebende Natur ein.

Die Materialität der Baustoffe wird betont, so können z. B. die Hölzer poliert sein, um ihre Maserung hervorzuheben.

Durch die Verwendung von mit Papier bespannten Fenstern und Schiebetüren, kommt die Jahreszeit als diffuse Farbe ins Haus.

Die Schiebetüren lassen, wenn geöffnet, einen freien Blick auf den Landschaftsgarten zu, dadurch entsteht eine leichte und luftige Atmosphäre. Gleichzeitig bildet die geöffnete Schiebetür einen Rahmen und die vom Innenraum zu erkennende Landschaft wirkt wie ein Bild. Die unterschiedliche Lichteinstrahlung je nach Tageszeit bewirkt, dass sich das Bild je nach Lichtstimmung wandelt.

Im Inneren sind die Räume weitgehend leer und bis auf die Tokonoma, sind sie meist relativ schmucklos.

Durch die Kombination von einerseits "einfachen" und natürlichen Materialien, die andererseits von höchster Qualität sind, entsteht der Eindruck von natürlicher Eleganz und Strenge.

Die winkelige Anordnung der Pfade im Wandelgarten lassen immer nur einen Teil der Anlage erkennen. So entsteht auf kleinem Raum ein Gefühl von Tiefe.

Wiederholungen bei Farben oder Materialien werden vermieden. Es wird eine Spannung zwischen den jeweiligen Gegensätzen angestrebt, z. B. zwischen dunkel und hell oder groß und klein.

Durch das weit überkragende Dach und die winkelige Anordnung der einzelnen Raumelemente liegt ein Teil des Gebäudes, je nach Tageszeit, im Schatten. Eine komplette Ausleuchtung des ganzen Gebäudes wird vermieden, wodurch wiederum ein Gefühl der Tiefe entsteht.


Ästhetische Grundlagen:

Die Leere (Mu, siehe auch Kapitel: Theorie des Schönen) spielt auch in der Architektur, wie in den anderen Künsten eine zentrale Rolle. Der Raum wird nicht als objektiv gedacht, sondern nur in Relation zu einer konkreten Aktivität und damit zu einer bestimmten Erfahrung der Bewegung im Raum. Da er nicht von dieser Aktivität in einer konkreten Situation losgebunden ist, ist er auch nicht starr festgelegt. Die Räume sind deshalb weitgehend leer und können je nach vorgesehenem Nutzungszweck entsprechend hergerichtet werden. Etwaige Einrichtungsgegenstände ruhen z. B. in einem kleinen angebauten Lagerraum. Leere bedeutet hier nicht, wie im Westen, eine Abwesenheit von etwas, sondern die Potenz des Möglichen, das sich zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort ereignen kann. D. h. jede räumliche Erfahrung ist immer an eine konkrete Zeit geknüpft, so wie jede konkrete Zeit an einen bestimmten Ort gebunden ist. Raum und Zeit sind folglich etwas Relatives. Im Kapitel: „Theorie des Schönen“ wurde gezeigt, dass das Schöne dem nicht artikulierten Ganzen entspricht, das in sich die Möglichkeit trägt, sich frei zu entfalten. Im leeren Raum haben wir eine Entsprechung: Ein Raum der noch keine festgelegte und damit starre Funktion hat und damit die Potenz des Möglichen widerspiegelt und daher auch leer ist, gilt als schön.
Da im Buddhismus das substanzielle Ich als Illusion erkannt wurde, bedeutet dies auch Folgendes: Ein Mensch, der z. B. hintereinander verschiedene Räume durchschreitet, wird in jedem Moment, in Relation zum je wahrgenommenen Raum, immer wieder ein neuer, anderer Mensch.
Bauen mit der Natur: Die Gebäude stehen nicht in einem Konfrontationsverhältnis mit der umgebenden Natur. Die Umgebung wird nicht ausgesperrt, Schiebetüren können geöffnet werden und sie sind, wie die Fenster, mit Papier bespannt, um das Äußere in das Innere zu lassen. Die Gebäude sind flach und ducken sich in die Landschaft, sie bilden zusammen mit der Topographie und der Vegetation eine organische Einheit. Nicht das Haus steht im Mittelpunkt, sondern die Gesamtanlage. Durch diese Maßnahmen und die Verwendung von natürlichen Materialien entsteht eine Harmonie zwischen Innen und Außen.
Konzept der Annäherung: Die einzelnen Gebäude liegen im Garten so eingebettet, dass man sie auf winkeligen Wegen erreichen kann, das ganze Gebäude ist immer erst zum Schluss erkennbar. Auf den Teilabschnitten des Weges werden natürliche Räume geschaffen, die nur in der Bewegung erfahren werden können und den Blick auf das Ganze verhüllen. Der Weg der zum Gebäude zurückgelegt wird, ist kein notwendiges Übel, sondern dient zur Läuterung. Hier gibt es deutliche Anklänge an das Wegprinzip (siehe Kapitel Weg). Weg und Ziel sind nicht verschieden voneinander, sondern eins. Der Weg, ob nun physisch oder psychisch, ist selbst Kontemplation oder buddhistisch formuliert: Das bewusste Erleben des Raums zu einer konkreten Zeit ist nichts anderes als das Üben von Achtsamkeit und damit Zen.

 


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